Mit Herrn G. aus B. eint mich die Leidenschaft für große Literatur und ein ausgeprägter Sinn für literarische Knobeleien. So verwundert es nicht, dass ich vor einigen Wochen auf die Frage eines einzelnen Herrn, der etwas verloren durch unsere Räume wanderte und den ich nach seinem Kuchenwunsch befragte, laut herauslachte und sofort wusste, wer uns da besuchen kam:
„Ich hatte mich gefragt, ob Sie mir wohl ein Gorgonzolasandwich servieren könnten?“
Die Korrespondenz mit Herrn G. reicht zurück in die Zeit des ersten Lockdown, als ich mein Corona-Tagebuch zu führen begann und zeitgleich ein kulturell interessierter, daneben mit einer Leidenschaft für gutes Schreibwerkzeug – egal, ob Füller und Tinte oder Schreibmaschine und Farbband – ausgestatteter, überaus freundlicher, eloquenter und belesener Herr G. aus B. seine Recherchen bezüglich der Alten Apotheke wieder aufnahm. Er schrieb mir eine erste Mail, der viele andere, vor allem aber zahllose handschriftlich verfasste Briefe und Episteln folgten, denn er hatte meinen Blog entdeckt und hoffte, über mich mehr über die Familie seiner Großmutter zu erfahren (Details finden sich hier).
Mittlerweile dehnt sich unsere Brieffreundschaft aus auf Bücher, Autoren, Malerei und Kunst aller Art, Corona wird nicht ausgelassen, eben alles, was einen so bewegt im Alltag, bei der Lektüre der Morgenzeitung oder beim Spaziergang in der Natur. Was noch fehlte, war die persönliche Begegnung. Herr G. war mir da natürlich um Längen voraus, denn von mir gibt es zahlreiche Fotos im Netz, nicht zuletzt hier in meinem Blog. Von ihm hatte ich eine unbestimmte Vorstellung, weil er mir zu Beginn der Maskenpflicht (seinerzeit mit noch frei wählbarer Form) ein Foto eines älteren Herrn zugeschickt hatte, der einen Schlapphut trug, Brille und ein Halstuch, das er sich über Mund und Nase hochgezogen hatte. Mir schwebte also eine Art Clint Eastwood vor, wie man ihn aus Pale Rider kennt.
So kam es denn auch, dass ich den älteren Herrn, der, wie oben erwähnt, etwas ziellos durch das Café schlenderte, nie und nimmer als Herrn G. aus B. identifiziert hätte. Doch wenige Wochen zuvor hatten wir uns über den Ulysses von James Joyce ausgetauscht, den wir beide zwar nie zur Gänze gelesen haben, der aber aus unserem Literaturkanon „was unbedingt im Regal stehen muss und möglicherweise irgendwann gelesen wird“ nicht wegzudenken ist. Und so fragte er mich nach dem Gorgonzolasandwich, und da war alles klar.
Ein solches Sandwich hatten wir nicht, dafür eine Quiche mit Zucchini, wenn ich mich recht erinnere, und die hat ihm genauso gut geschmeckt. Vielleicht besser, denn wer weiß, wie ein Gorgonzolasandwich, das einem in einem irischen Pub serviert wird, tatsächlich mundet?
Es war der Beginn einer Woche voller Besuche, Gespräche und Begegnungen. Ein Stammgast kam mit ihm ins Gespräch, weil Herr G. sich natürlich in unser Gästebuch eintragen sollte und nur ein ordinärer Kugelschreiber zur Hand war – Minuten später saßen beide an einem Tisch und tauschten sich über Füllfederhalter aus, die beste Tinte, das beste Papier, das Schreiben von Tagebüchern, Reiseerinnerungen… Zwei junge Leute waren mit einer historischen Zündapp angereist, deren Klang Herrn G. aus B. vertraut vorkam und man fachsimpelte über alte Motorräder… Restauranttipps wurden ausgetauscht und Empfehlungen für die weitere Recherche bezüglich der Großmutter ausgesprochen…
Es war uns ein Fest, Herr G.! Danke für Ihren Besuch, und hoffentlich bis bald! Unsere Korrespondenz haben wir mittlerweile wieder aufgenommen, vielleicht wird bei anderer Gelegenheit wieder darüber zu berichten sein.
Liebe Frau Ranft,
auch mir war es eine große Freude, das von Ihnen und Ihrem Mann so wunderbar restaurierte Haus besichtigen zu dürfen, in dem meine Großmutter ihre Kindheit und Jugend verbacht hat; von dieser Zeit hatte sie mir viel erzählt (als ich noch kein „älterer Herr“, sondern ein Knäblein war – also vor etwa 70 Jahren). Sie haben mich so nett aufgenommen, mit köstlichen Kuchen (bzw. traumhaften Torten) verwöhnt und mir alle Räume gezeigt – auch die, die für das Publikum gemeinhin nicht zugänglich sind (z.B. die fensterlose Kammer für das Dienstmädchen). Dafür danke ich Ihnen sehr.
Dank der trotz gewisser räumlicher Umgestaltung erhalten gebliebenen inneren Fachwerkstruktur des Hauses kann man gut nachvollziehen, wie die Zimmer damals zugeschnitten waren. Wie sie im Einzelnen genutzt wurden, ist natürlich nicht mehr nachzuvollziehen. Wunderbar finde ich, daß Sie die Krediturkunde gefunden haben und an prominenter Stelle präsentieren; beweist sie doch, daß Louis Rappe diesen Kredit aufnahm, um im Jahre 1890 den Ausbau des Hauses durchführen zu können – was wiederum vermuten lässt, daß er Haus und Apotheke bereits vor 1890 übernommen hatte.
Das Gorgonzola-Sandwich bedarf vielleicht einer Erklärung für diejenigen, die sich mit dem Ulysses nicht so auskennen: Es dient der Hauptperson des Romans, Leopold Bloom, als Zwischenmahlzeit und hat somit literarische Berühmtheit erlangt. Da der Roman am 16. Juni 1904 spielt und im englischsprachigen Raum – besonders aber in Irland – der 16. Juni als „Bloomsday“ gefeiert wird und in diesem Jahr dieses Datum auf den Fronleichnamstag fiel, der in Hessen ja ein Feiertag ist, fragte ich Sie, ob Sie an diesem Tag eventuell ein Gorgonzola-Sandwich anbieten würden – was Sie jedoch ablehnten, da es von den Besuchern Ihres Cafés mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder bestellt noch angesichts des besonderen Tages angemessen gewürdigt würde. Hierzulande ist der Bloomsday ja so gut wie unbekannt.
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