„Er ist stabil“

Laut Albert Einstein ist eine Stunde beim Zahnarzt viel länger als eine Stunde mit einem hübschen Mädchen auf dem Schoß. In diesem Sinne waren dies die drei längsten Wochen unseres Lebens. Nach der Schrittmacher-OP ein wenig Erholung, Sonntagabend dann der nächste Schock: Umkippen mit kurzer Bewusstlosigkeit. Beim Prüfen der Schrittmachertätigkeit wiegte der Arzt bedenklich sein Haupt und überlegte, Ende der Woche nochmal daran zu gehen. In der Zwischenzeit jedoch Atemnot, Wasser in der Lunge, Wasser überall im Körper, offensichtlich arbeitete das Herz nicht so, wie es sollte.

Also zunächst Lungenpunktion, Freitag rechts, übers Wochenende wieder warten und bangen, Montag links. Dazwischen Panikattacken, Todesangst, vor allem nachts, keine Luft, das ganze Leben zieht an einem vorbei und man fragt sich, ob es das gewesen ist.

Als Dienstag alles soweit ganz gut aussah, strömte plötzlich satt dunkles Blut in den Beutel, in den die Gewebeflüssigkeit der rechten Lunge abfließen sollte. Kurzzeitige Hektik seitens der Ärzte, Überlegungen, ob eine Not-OP erforderlich oder überhaupt möglich sei, Blutabnahme, um die passenden Konserven bereitstellen zu können. Dann lieber abwarten, ob es nachlässt, denn im Blindflug operiert ein Arzt wohl auch nicht gern.

Zum Glück ließ es nach, kam abends zum Stillstand, Proben wurden ans Labor geschickt, um herauszufinden, ob noch weiter nach der Ursache geforscht werden muss. Nun also erst Freitag die zweite Schrittmacher-OP, möglicherweise war bei dem Sturz etwas verrutscht, so dass der Schrittmacher nicht so arbeitete wie er sollte.

Diese Zeit allein zuhause zu verbringen, ohne Gesprächspartner, nur ab und zu Telefonate, aber nur, wenn ich halbwegs gute Neuigkeiten zu verkünden hatte; immer nur Warten auf den nächsten Anruf oder wenigstens ein Lebenszeichen über das Handy – das wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Lesen, Puzzeln, Aufräumen, Wäsche – irgendwann wird alles zuviel, man sitzt im Dunkeln und wartet. Der Fernseher blieb aus, höchstens mal Nachrichten, nur ein Termin Mittwochabend: Auf den Spuren Fontanes durch Brandenburg. Was für ein Glücksfall, dass diese fünfteilige Serie (soviele Teile wie es Bände der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gibt) ausgerechnet jetzt lief, und wie aufmerksam, von Herrn G. aus B. darauf hingewiesen worden zu sein.

Unschön mein Eindruck vom Gespräch mit dem Arzt, als die Lungenpunktion des linken Flügels so lange auf sich warten ließ; ich fragte ihn nach seiner Meinung über den Gesamtzustand meines Mannes, und er holte Luft und sagte: „Er ist stabil.“ Ich fand das wenig beruhigend, klingt es doch so sehr nach „wenn er diese Nacht übersteht, kommt er durch“. Und als mich dann am nächsten Morgen die Nachricht mit dem Bluterguss erreichte, wurde mein schlechtes Gefühl direkt bestätigt.

Ist möglicherweise ein Bild von Himmel

Es kam eben viel zusammen in diesen Wochen, die so endlos lang erschienen. Am Freitag ein schöner Ausblick auf den Tag mit der zweiten Operation, den ich als gutes Omen nahm, und wie es derzeit aussieht, hat es sich erfüllt. Ein kalter, klarer Wintertag, mit viel Sonne auf der Martinskirche. Wie es nun weitergeht, wird sich wohl am Montag entscheiden, wenn die Ärzte sich ein Bild von seinem Zustand nach der OP gemacht haben und hoffentlich zu der Ansicht kommen, er sei mehr als stabil. Dann ein nächster Anlauf für die Reha, die ja eigentlich Freitag hätte beginnen sollen. Aber zuvörderst müssen wir erfahren, wie wir zuhause mit der neuen Situation umgehen sollen, ob es besondere Maßnahmen geben wird, Tipps und Hinweise.

Das große Puzzle ist fertig, bis auf ein Teil, das ich tagelang vermisst hatte, bis es in der Tasche meiner Strickjacke wieder auftauchte. Deshalb bleibt das jetzt so, bis der Rekonvaleszent nach Hause kommt und es einsetzen darf.