Glücksfall Lockdown

Bislang sind wir eher indifferent durch diese Zeit der Stille gegangen, mit der üblichen Routine zu Beginn, Aufarbeiten von Liegengebliebenem, harmonischem Miteinander und zunehmender Langeweile, die ja durch das Stellen von Aufgaben nicht gemindert wird, weil man diese Aufgaben eben erledigen oder auf den nächsten Tag im Lockdown verschieben kann.

Dass ich aber für diese surreale Episode eines Tages regelrecht dankbar sein würde, hätte ich nicht im Traum gedacht. Nach einem zum Glück noch milden, aber für Hallo Wach völlig ausreichenden Herzinfarkt liegt Hans seit meinem Geburtstag im Krankenhaus und hat mittlerweile einen Herzschrittmacher eingepflanzt bekommen. Heute durfte ich ihn endlich besuchen, nachdem er zunächst auf einer isolierten Beobachtungsstation lag und anschließend auf der Intensivstation. Alles ist sehr gut verlaufen, nur wann er nach Hause darf, wissen wir noch nicht.

Die Strecke zur Klinik fahre ich im Schlaf; wie oft habe ich sie in den letzten Jahren schon zurückgelegt. Aber solche Angst wie dieses Mal hatte ich noch nie. Von der Diagnose bis zur Operation vergingen drei lange Tage, weil zunächst die Entzündung im Körper heruntergefahren werden musste, mit der die notwendigen Mittel (Kontrastmittel, Narkose und so weiter) nicht vertretbar waren. Und diese drei Tage waren so lang. Ich musste immer an einen guten Freund denken, der vom (schweren) Herzinfarkt bis zur Operation, die nicht gleich riskiert werden konnte wegen zu großer Schwäche, verstorben ist. Am Tag X dann endloses Warten, von mittags bis abends halb sechs, und nachdem mir allerseits versichert worden war, dass das ein ganz simpler Routineeingriff sei, erschien mir dieser Zeitraum übermäßig lang.

Es ist aber mal wieder alles gutgegangen, mal wieder hat unser Schutzengel Wache gehalten, ich weiß nicht, wieso der so endlos viel Geduld mit uns hat. Bestimmt haben all die liebevollen Grüße und Zusprüche von Familie und Freunden dabei geholfen.

Diabetes ist eine so heimtückische Krankheit. In fünf Jahrzehnten hat sie all die kleinen und winzigen Blutgefäße angegriffen, und nur weil Hans ein insgesamt so starkes Herz hat, blieb hier der Widerstand vergleichsweise lange bestehen. Andere Regionen sind schon länger von neuropathischen Störungen befallen. Mit dem Schrittmacher wird es nun wohl hoffentlich noch für viele gute Jahre reichen. Er ist jedenfalls wild entschlossen, den Kampf weiterzuführen, und ich sowieso. Immerhin müssen wir noch meinen Geburtstag nachfeiern.

Ein Kontrollbesuch im Literaturcafé hat mir wieder besondere Freude bereitet: Frau L. war auf dem Anrufbeantworter und wollte einen Gutschein erwerben. Wir haben uns für nächste Woche verabredet. Auch die Backfee ist weiterhin an Bord. Der Wiedereröffnungstermin richtet sich nun allerdings weniger nach den Corona-Vorschriften als nach unserer eigenen Verantwortung. Ohne Hans werde ich die Tür nicht wieder öffnen. Bis er fit ist, steht alles still. Aber wer weiß, wie lange dieser surreale Lockdown noch dauert.