Der Ulmer Spatz

In den vergangenen Tagen wurden wir gleich zweimal gefragt, warum ein Ulmer Spatz auf der Terrasse steht, und auf Nachfrage – obwohl es vom Dialekt her gleich erkennbar war – ergab sich, dass wir es mit Experten zu tun hatten, die entweder aus Ulm gebürtig waren oder dort lebten.

Der Spatz steht seit ziemlich genau einem Jahr auf der Terrasse des Cafés, nachdem er zuvor den größten Teil seines Daseins auf unserem Balkon in Bad Orb verbracht hatte, und zwar bei jedem Wetter, wie man auf dem Foto erkennen kann. Und da kaum jemand die Geschichte des Ulmer Spatzen kennt, ist hier der Ort, sie noch einmal zu erzählen.

Die Ulmer wollten nämlich ihr Münster bauen und brachten die dazu erforderlichen Baumstämme nicht durchs Stadttor. Warum? Weil sie sie quer auf den Wagen gelegt hatten. Da beobachteten sie einen Spatz, der ein ähnliches Problem dadurch löste, dass er einen Strohhalm, den er ebenfalls quer nicht in seine Nisthöhle einbringen konnte, längs in den Schnabel nahm und so den Halm ohne weitere Schwierigkeiten an Ort und Stelle verfrachtete. Die Ulmer folgten diesem glorreichen Einfall, setzten die Baumstämme um und transportierten sie erfolgreich in die Stadt.

Auf dem Dach des Münsters sitzt seit langem ein Vogel, der etwas im Schnabel trägt, und Recherchen ergaben, dass es sich dabei eigentlich um eine Taube mit einem Ölzweig handelt. Weil aber die Taube zu klein geraten ist und auch einer solchen gar nicht ähnlich sieht, hat sich wohl eher die Legende um diesen „Spatzen“ herum entwickelt anstatt umgekehrt.

Wie dem auch sei, der Spatz gehört zu Ulm wie der Bär zu Berlin, und deshalb wurden vor bald zwanzig Jahren, anlässlich der Renovierung eines der kleineren Münstertürme, große und kleine Spatzen angefertigt und verkauft, mit deren Erlös man die Renovierung finanzierte. Seither sind auch wir stolze Besitzer eines solchen Vogels, und noch heute kann man beim Gang durch Ulm zahlreichen Spatzen begegnen, die äußerst kreativ bemalt und geschmückt sind. Man beachte vor allem die „Strohhalme“ im Schnabel, die jeweils zur dargestellten Figur passen.