Ein Wort der Entschuldigung an den Mann, der mich heute morgen im Hauptbahnhof nach dem Weg zur U4 Richtung Messe gefragt hat:
Nehmen Sie nicht die Rolltreppe, die ich Ihnen gezeigt habe! Das ist ganz falsch! Da geht’s zur S-Bahn Richtung Wiesbaden.
Aber wahrscheinlich ist es ja schon viel zu spät. Und ich habe mir erneut den Zorn eines Auswärtigen zugezogen, der gedacht hat, ich frag schnell diese Dame, die sieht aus, als würde sie sich auskennen.
Nein! Das stimmt nicht. Ich bin ein Pendler. Ich kenne mich überhaupt nicht aus.
Pendler stehen morgens im Halbschlaf am Bahnhof, ertaumeln sich einen Sitzplatz und steigen an genau der Haltestelle wieder aus, die sie zu ihrem Arbeitsplatz führt. Umsteigen klappt problemlos, ist alles im Festspeicher abgelegt. Aber: Fragen Sie nie einen Pendler nach dem Weg zu einem Ort, der mit seinem Pendelweg nichts zu tun hat. In Ihrem eigenen Interesse. Er weiß es nicht.
Das Schlimme daran: Wir verspielen damit den Ruf unserer Stadt. Also, der Stadt, in die wir jeden Morgen gependelt kommen. Wir gelten als unfreundlich, wenn wir den Fragenden verständnislos anstarren; wir gelten als unhöflich, wenn wir achselzuckend davoneilen; und wir gelten als hinterhältig, wenn wir im Halbschlaf eine verkehrte Angabe machen.
Das tut mir alles schrecklich leid. Vor allem für den Mann, der vielleicht immer noch im Hauptbahnhof herumirrt auf der Suche nach der U4 Richtung Messe. (Zu Fuß hätte er zehn Minuten gebraucht.)
Es könnte alles so einfach sein: Nehmen Sie den nächsten Zug! Nicht den, der um halb neun in Frankfurt einläuft. Um halb neun gehört der Bahnhof den Pendlern.
Frühstücken Sie gemütlich zuhause, nehmen Sie in Ihrer Heimatstadt selbst den Zug um halb neun, dann sind Sie um zehn in Frankfurt und haben noch nichts versäumt.
Es besteht doch gar kein Grund, um halb fünf aufzustehen, nur damit Sie um halb neun in Frankfurt sind und dann von einem verschlafenen Pendler nach Preungesheim geschickt werden, obwohl Sie nach Niederrad wollten.
Sie wissen gar nicht, wo das ist?
Sehen Sie, ich auch nicht.
Der beste Rat, den ich Ihnen geben kann, wenn Sie wirklich unbedingt um halb neun in Frankfurt ankommen müssen, weil das Meeting an der Messe für neun Uhr terminiert ist: Nehmen Sie ein Taxi. Sie ersparen sich die Sucherei, mir das schlechte Gewissen, und darüber hinaus kurbeln Sie die Wirtschaft an.
Genießen Sie Ihren Tag in Frankfurt!
Was für ein schönes Wort, “ Sitzplatz ertaumeln“! Überhaupt ein schöner Text!
Ja, ich habe vor kurzem hier im geringfügig größeren Berlin auch jemandem den Weg falsch erklärt und anschließend eine gute Stunde lang eine Mischung aus Bauchweh und schlechtem Gewissen gehabt, ich kenne das. OBWOHL ich hier keine Pendlerin bin. Meine Entschuldigung lautet: Berlin ist einfach zu groß für mich und ich kann mir so viele U-Bahnen und Trams und Busse und S-Bahnen einfach nicht merken. Jetzt könnte man ja sagen:“Dann halt doch einfach die Klappe, wenn Du gefragt wirst!“ Ja, aber so einfach ist das auch wieder nicht. Genau wie Kirsten gab ich den schlechten Rat ja nicht aus lauter Boshaftigkeit, sondern aus Überforderung und Irrtum. Wir dachten ja zunächst, unser Rat sei richtig. Was kann man jetzt daraus schließen? Damit machen? Sich trösten. Irren ist menschlich. Und die nette Dame aus China, die ich zum falschen Bus Richtung Airport geschickt habe, wird vielleicht demnächst in Peking jemanden zur falschen Rikscha schicken , weil ihre Schwiegermutter sie auf dem Smartphone angepfiffen hat, weil sie ihr nur ein statt 75 Selfies geschickt hat. Haben wir Erbarmen mit uns und den Irrtümern. Diese Welt ist zu verwickelt, um ihren gesamten Fahrplan immer richtig im Kopf zu haben.
Liebe Grüße aus der sogenannten Hauptstadt ! Christine
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