Geliebte Dichter

Neulich begegnete mir Joachim Ringelnatz wieder, den ich zutiefst verehre und zu dem mir vor allem dieses kleine Meisterwerk einfällt:

Ehrgeiz

Ich habe meinen Soldaten aus Blei
Als Kind Verdienstkreuzchen eingeritzt.
Mir selber ging alle Ehre vorbei,
Bis auf zwei Orden, die jeder besitzt.

Und ich pfeife durchaus nicht auf Ehre.
Im Gegenteil. Mein Ideal wäre,
Daß man nach meinem Tod (grano salis)
Ein Gäßchen nach mir benennt, ein ganz schmales
Und krummes Gäßchen, mit niedrigen Türchen,
Mit steilen Treppchen und feilen Hürchen,
Mit Schatten und schiefen Fensterluken.

Dort würde ich spuken.

Dieser Wunsch wurde ihm erfüllt, nicht nur in seiner Heimatstadt Wurzen, sondern auch in Frankfurt gibt es ein Ringelnatzgässchen.

In dieselbe Kategorie wie Ringelnatz gehört für mich Eugen Roth, dessen Geburtstagsgedicht ich schon zahlreichen Freunden und Bekannten gewidmet habe:

Ein Mensch kriegt eine schöne Torte.
Drauf stehn in Zuckerguß die Worte:
»Zum heutigen Geburtstag Glück!«
Der Mensch ißt selber nicht ein Stück,
Doch muß er in gewaltigen Keilen
Das Wunderwerk ringsum verteilen.
Das »Glück«, das »heu«, der »tag« verschwindet,
Und als er nachts die Torte findet,
Da ist der Text nur mehr ganz kurz.
Er lautet nämlich nur noch: .. »burts« ..
Der Mensch, zur Freude jäh entschlossen,
Hat diesen Rest vergnügt genossen.

Heinrich Heine gehört dazu, Kurt Tucholsky, Robert Gernhardt, Matthias Claudius. Vor allen verneige ich mich in Demut, waren sie sich doch alle, mehr oder weniger verzweifelnd am Menschen, stets der Tatsache bewusst, dass seine furchtbare Unzulänglickeit gleichzeitig Quell ewiger Grazie und Schönheit ist. Es gibt kein Licht ohne Schatten, keinen Rauch ohne Feuer, keine Rose ohne Dornen, und die größten Dichter wussten das in leichtfüßige Verse zu fassen, denen immer auch der tiefe Schmerz innewohnt.

Parallelen dazu finde ich in der bildenden Kunst: bei Heinrich Zille und seiner bittersüßen Dokumentation des Berliner Hinterhofmilieus, dem er immer wieder neben dem schreienden Elend den Berliner Humor abringen konnte, der vor lauter Zynismus kaum gehen kann, und bei Max Liebermann und dessen Wort für die Ewigkeit („ick kann jar nich so viel fressen wie ick kotzen möchte“, als die SA vorbeimarschiert); es wundert mich nicht, dass die beiden enge Freunde waren.

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