… und dann verleih ihnen Flügel.
Noch eine Woche bis zu unserem großen Tag, und ich werde ein bisschen sentimental. Nach Wochen und Wochen mit schlaflosen Nächten, Hochschrecken aus wirren Träumen, was alles noch fehlt und was ganz bestimmt schiefgehen wird und wieso überhaupt wir uns das antun, Wochen, in denen ich mich gefühlt habe wie die Braut, die sich nicht traut und vom Altar wegrennt, weil doch alles schön in Ordnung war wie es war, warum soll man etwas ändern?, habe ich endlich ein bisschen Abstand gewonnen und bin bereit, das Kind loszulassen. Ich habe es fest verwurzelt, der Plan ist aufgegangen, den Rest muss es selber schaffen. Jetzt ist es Zeit, fliegen zu lernen.
Darüber bin ich ins Grübeln gekommen, und das verhilft einem ja immer dazu, sentimental zu werden. Wo kommt sie her, die Leidenschaft für alte Häuser, für Geselligkeit, für gute Bücher, den Duft von frisch gemahlenem und gebrühtem Kaffee, von Streuselkuchen und Bienenstich?
Wohl von den eigenen Wurzeln. Der Geborgenheit, die die Eltern uns geschenkt haben, dem wilden Fachwerkgetümmel in Homberg an der Efze, wo ich die vielleicht prägendsten Jahre der Kindheit verbracht habe, im Alter von einem bis fünf Jahren, den Großeltern und der Praforst, den Tanten und Onkeln und Cousins und Cousinen und dem ganzen Gedöns. Die Fotos stammen aus dem Familienbuch, das meine Eltern zu ihrem Goldenen Hochzeitstag angefertigt haben, und ich kann es nicht anschauen, ohne schlucken zu müssen.
Wir hatten die typische Kindheit der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Vom VW Käfer über den Urlaub in Oberitalien bis hin zu den psychedelischen Tapeten im Wohnzimmer war alles dabei. Im Wald herumstromern und überall mit dem Fahrrad hinkommen, Schlüsselblumen pflücken und Stauwehre bauen, Kirschen klauen und Cowboy und Indianer spielen. „Ich wäre so gerne ein Junge“, habe ich zu meinem Kindergartenfreund gesagt, „damit ich den Andreas verkloppen kann.“ Der arme Andreas hatte es nicht leicht zuhause und ließ seinen Frust an uns Schwächeren aus. Aber was wussten wir schon davon. Meine Freundin Filiz hat ihn trotzdem verkloppt, mitten auf dem Schulhof.
Aus diesen Kindern wurden Menschen, die ihren eigenen Kopf durchsetzen wollten, ihre eigenen Träume träumten, ihre eigenen Ziele verwirklichen wollten. Jetzt werden diese Träume wahr, und ich kann nur sagen: Danke.

Psycho? Shining? Oder nur der Countdown bis Mitternacht? Man weiß es nicht.