Turn the Page

Auf dem Kissenbezug ist ein Kaffeefleck.

Ich liege auf der Seite und betrachte den Rücken von Nils. Selbst im Schlaf zuckt er. Ein Muskel im Nacken, der keine Ruhe findet, so wie Nils.

Ich reibe mit dem Finger über den Kaffeefleck. Gestern, bevor Nils zurückkam, habe ich die Betten frisch bezogen. Vielleicht ist der Fleck beim Waschen nicht rausgegangen.

Nils dreht sich auf den Rücken. Mit offenem Mund schläft er weiter. Ich lege meine Hand auf seine Schulter, und er lächelt.

So jung sieht er aus, so unbekümmert, so liebenswert. Und ich liege da und grüble über Flecken in meiner Bettwäsche.

Er liebt mich, weil ich so bin. Und er flieht vor mir, weil ich so bin.

Die Jungs, sagt er, die Jungs brauchen mich. Und ich, will ich erwidern, was ist mit mir? Aber ich komme mir albern vor und sage nichts. Gestern habe ich geschwiegen, und ich werde auch heute schweigen. Dabei ist jetzt alles anders, und ich wünsche mir, dass Nils das merkt.

Er grunzt im Schlaf, und ich lege meine Hand über seinen Mund, um ihn zu wecken. Er fühlt die Wärme und schmiegt sein Gesicht in meine Hand. Dann schlägt er die Augen auf und sieht mich an.

„Anja! Ich bin bei dir! Ich bin zuhause.“ Er schaut an die Decke und sieht zufrieden aus.

Ich schlage die Bettdecke zurück. „Ich gehe Kaffee kochen“, sage ich, doch Nils ist schon wieder eingeschlafen.

Später sitzen wir am Küchentisch und Nils isst ein aufgebackenes Brötchen, dick mit Butter und Nutella bestrichen. Ich bringe nichts hinunter, obwohl ich Hunger habe.

Das Telefon klingelt, und Nils springt auf, als hätte er darauf gewartet. Charlie ist dran und fragt, ob sie nicht schon am Abend losfahren könnten, sie müssten unterwegs noch einen Verstärker abholen. Charlie kennt einen, der beschafft und repariert alles, was die Jungs für ihre Auftritte brauchen.

„Ist gut, Charlie, ich hol dich ab. Freaky bringe ich gleich mit.“

Die Jungs heißen Freaky, Charlie, Senfty und Bogey. Nils leidet darunter, dass er der einzige ist ohne Spitznamen. Ich habe keine Ahnung, warum jemand lieber Senfty als Nils genannt werden möchte, aber mir erschließt sich auch der Unterschied zwischen einer Fender Fat Strat Humbucker und einer Singlecoil Vintage Style nicht. Nils und ich, wir leben in verschiedenen Welten, und das einzige, was uns verbindet, ist eine heimliche Sehnsucht nach der Welt des anderen.

„Lass uns duschen gehen“, sagt Nils und pustet mir in den Nacken. Seine Hände wandern über meinen Rücken, meine Arme, meinen ganzen Körper und spüren doch nichts.

„Nils“, hauche ich in die Kuhle an seinem Schlüsselbein, als wir unter der Brause stehen. „Ich liebe dich, Anja“, flüstert er an meinem Nacken, und wir lassen uns in das winzige Duschbecken sinken, ich sitze auf ihm und bewege mich kaum, er hat die Augen geschlossen und beißt sich auf die Lippe, ganz leise sind wir, dann gräbt er seine Fingernägel in meine Haut und ich bedecke sein nasses Gesicht mit meinen Küssen, es ist Sonntag Vormittag und es ist wunderschön.

Wir lassen das Wasser über unsere Körper plätschern, ich müsste nie wieder aufstehen, wenn es nach mir ginge, aber Nils zappelt schon wieder.

„Anja“, sagt er, „komm doch mit! Es ist doch nur für drei Tage diesmal. Wir rufen morgen früh im Kindergarten an und sagen, du bist krank. Ich möchte dich so gerne um mich haben.“

„Ich kann nicht“, sage ich. „Helga hat Urlaub, ich muss die Gruppe alleine betreuen.“ Und ich will auch nicht, denke ich. Ich habe das einmal gemacht, vor fünf Jahren, als die Band ihre ersten Auftritte in der Provinz hatte. Die Jungs benahmen sich wie die Kinder in meiner Spielgruppe. Ich fühlte mich alt, und ich fragte mich damals schon, ob das gutgehen wird mit mir und Nils.

Wenn ich ihn anschaue, weiß ich, dass wir zusammengehören. Die Zweifel kommen erst, wenn die Tür hinter ihm zufällt, und dann gehen sie nicht mehr weg, bis Nils zurückkommt.

Am Nachmittag spielen wir „glückliches junges Paar“. Ich räume im Wohnzimmer herum, Nils schüttelt die Betten auf und ruft aus dem Schlafzimmer: „Da ist ein Kaffeefleck auf dem Kopfkissen!“

Später stehen wir am Fenster und sprechen darüber, wie schön es jetzt wäre, mit einem Kombi und einem Picknickkorb ins Grüne zu fahren und Schlüsselblumen zu pflücken, und ich bin ganz nah dran, es ihm zu sagen, das andere, aber dann dreht Nils sich um und geht zum Plattenspieler.

„Here I go, playin‘ star again. There I go – turn the page“ singt Bob Seger, und ab jetzt gehört Nils nicht mehr mir. Er dreht die Anlage auf und tanzt durch die Wohnung, packt seine Tasche und zieht seine Turnschuhe an, sieht aus wie ein Halbstarker, der noch seinen Platz im Leben sucht.

Nils ist zweiunddreißig und die Band wird nie in etwas spielen, das größer ist als die Turnhalle in unserer kleinen Stadt. Er dreht Seite für Seite um in seinem Leben, gespannt, wie es weitergeht, aber er fragt sich nie, wie es enden wird.

Ich würde gerne schreien und zupfe stattdessen weiter die gelben Blätter von der Palme, die am Fenster steht.

Nils kommt auf mich zu mit schlingerndem Gang, wie ein Roadie, der einen Verstärker auf dem Rücken balanciert. Er hebt mich hoch und dreht sich mit mir im Kreis, meine Tränen tropfen auf seinen Kopf.

„Anja, Anja, sei doch nicht traurig! Nur drei Tage! Dann bleibe ich auch länger bei dir. Ich liebe dich!“

Er setzt mich vorsichtig wieder ab, und ich weiß genau: er wird zurückkommen, aber er wird nicht bei mir sein. Er wird die nächste Tour herbeisehnen, und nachts wird er in meinem Bett schlafen, und sein Muskel im Nacken wird zucken, weil er es nicht aushält, jede Nacht im selben Schlafzimmer.

„Nils“, sage ich.

Er nimmt seine Tasche, gibt mir noch einen Kuss und verlässt die Wohnung.

©Kirsten Ranft