Rot und Schwarz

Neuerdings verbinde ich eine ganz eigenwillige Erinnerung mit Rot und Schwarz von Stendhal. Immer wieder mal frage ich mich ja doch, ob ich nicht auch mal etwas mehr zeitgenössische Literatur lesen sollte. Fakt ist aber, dass ich auf meiner persönlichen Lesereise immer tiefer in die Vergangenheit tauche, einfach weil so viele Autoren Bezug nehmen auf so viele ihrer Vorgänger, und dann packt mich die Neugier und vor allem die Bewunderung für diesen enormen Bildungskanon, und schon bin ich wieder in der Abteilung der Klassiker in der Buchhandlung meines Vertrauens gelandet. Nur ganz selten mal passiert das Umgekehrte und ich greife wieder zur Unendlichen Geschichte, nachdem ich im Gargantua den Satz „Tu was du willst“ entdeckt habe und zurück zu Michael Ende und ins Jahr 1979 katapultiert werde.

Ähnlich erging es mir damals, als ich in einem der Nachrufe zu Wolfgang Herrndorf gelesen habe, dass Julien aus Rot und Schwarz zu seinen Lieblingsfiguren der Literaturgeschichte gehört, und es passierte zweierlei: erstens, ich atmete tief durch, weil ich ein Jahr zuvor Rot und Schwarz gelesen und mich extrem für Julien begeistert hatte und Herrndorf mir das Gefühl gab, dass ich doch nicht ganz allein im Universum bin, und zweitens: ich kaufte mir den Tschick. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

StendhalDen Stil von Stendhal zu beschreiben ist abenteuerlich. Vergiss alles, was du je über Schreibwerkstätten, Fiction Writing, Perspektiven gelernt hast. Stendhal ist das alles egal. Er hat eine Geschichte zu erzählen, und was für eine, und diese Geschichte steht vor allem anderen. Deshalb hat das Buch auch unbestritten seinen Platz in der Weltliteratur verdient.

In den Roman hineinzukommen, ist mühsam. Ich habe mich schwergetan mit all den verschiedenen Figuren zu Beginn, in Verrières, einem Örtchen in der Franche-Comté, in dem Julien aufwächst. Irgendwann ist das geschafft, man kennt sich aus, und trotzdem wird die Lektüre nicht leichter. Das liegt an Stendhals Stil. Er schreibt abgehackt, deutet vieles an, und dennoch hat man oft den Eindruck, er hat nie genau das Wort, die Worte gefunden, die das aussagen, was er im Sinn hat. Dadurch wirkt der Roman so überschäumend, so getrieben; Stendhal will viel mehr sagen als er ausdrücken kann.

Neben Julien ist die beeindruckendste Figur für mich der Abbé Pirard, der ihn protegiert und ihm letztendlich eine Anstellung verschafft, die Julien zumindest in die Nähe seines Ziels bringt: ein großer, einflussreicher Mann zu werden. Das ist nicht ganz leicht, Quatsch, es ist vollkommen unmöglich für einen mittellosen jungen Mann in der Zeit der Restauration, die Frankreich nach Napoleon versteinert hat.

Fremd geblieben ist mir dagegen den ganzen Roman hindurch und auch in der Erinnerung Mme de Rênal, die weibliche Hauptfigur des Romans, deretwegen alles in einem tragischen Schlamassel endet.