Mit den Briefen der Mme de Sévigné bin ich endgültig im Herzen meiner Liebe für die französische Literatur angelangt. Alles scheint um sie zu kreisen. Eine kluge, belesene Zeitgenossin Ludwig des XIV., berichtet sie der Nachwelt vom Leben bei und neben Hofe in den Briefen an ihre inniggeliebte Tochter, die den Grafen Grignan geheiratet hatte und mit ihm in der Provence lebte. Eine Gesamtausgabe habe ich nicht – ohnehin scheint ein beträchtlicher Teil ihrer umfangreichen Korrespondenz nicht nur mit ihrer Tochter verlorengegangen zu sein -, nur die Auswahl der interessantesten Briefe, die im insel-Verlag erschienen ist. Mehr braucht es vielleicht auch nicht, um von dort aus weiter zurückzuschreiten zu Rabelais oder voraus zu Balzac, Stendhal und letztlich natürlich auch zu Proust.
Über diesen Auszug eines Briefes vom 31. Mai 1671 habe ich sehr gelacht und bewundere die Weisheit des Gedankengangs:
“Es ist ein seltsam Ding um weite Reisen: hielte die Stimmung, in der man ankommt, an, würde man den Ort, in dem man ist, nie verlassen. Aber die Vorsehung hat es so eingerichtet, daß man vergißt, dieselbe Vorsehung, die auch den Frauen hilft, wenn sie immer wieder Kinder gebären. Gott erlaubt dieses Vergessen, damit die Menschheit nicht ausstirbt und damit man in die Provence reist.“
2010 sind wir in die Provence gereist und haben unter anderem das Schloss Grignan besucht, vor dem eine riesige Schreibfeder ihr Andenken ehrt.
Eine der fesselndsten Geschichten aus ihrer Korrespondenz ist die des Verwalters Vatel am Hofe des Prinzen de Condé auf Schloss Chantilly, der sich in sein Schwert warf, weil bei einer dreitägigen Feier anlässlich des Besuchs des Königs und seiner Entourage am dritten Tag der Fisch nicht pünklich geliefert wurde. Die Episode wurde eindrucksvoll verfilmt mit Gérard Dépardieu in der Titelrolle. Die hinzugedichtete Liebesgeschichte mit Uma Thurman hätte es meiner Ansicht nach nicht gebraucht, da sie nur von dieser ungeheuerlichen Pflichtbesessenheit des Mannes ablenkt, der wegen zu spät gelieferter Meeresfrüchte Selbstmord begeht.
Auch andere Berichte aus den Briefen legen Zeugnis ab von der Epoche, wie etwa ein Hausbrand, der zahlreiche Existenzen vernichtete, wie es heute kaum denkbar erscheint. Ähnlich eindringliche Augenzeugenberichte solcher Katastrophen kenne ich nur von den Tagebüchern des Samuel Pepys, fast zeitgleich entstanden in London.
Chantilly, wo nämlicher Vatel angeblich die (mit Vanillezucker gesüßte) Schlagsahne, französisch Crème Chantilly, erfunden hat, haben wir während unserer Reise in die Picardie besucht und konnten uns davon überzeugen, dass diese Crème wirklich außergewöhnlich gut schmeckt.
Wo ist nun die Verbindung der Mme de Sévigné zu unserem Café? Ganz einfach, sie war unter anderem bekannt mit der Familie La Rochefoucauld, die die Gobelinsammlung der Einhornjagd in Auftrag gegeben hatte. So schließt sich der Kreis.